Hand aufs Herz: Jeder von uns kennt die Faustregel, dass ein extrem günstiges Angebot vermutlich einen Haken hat. Schon unsere Großeltern lehrten uns, bei vermeintlichen Schnäppchen genau hinzuschauen. Doch während wir im Alltag längst vorsichtig geworden sind – die 15-Euro-Markensneaker vom dubiosen Onlinehändler lässt heute sogar meine 70-jährige Mutter links liegen – wird im beruflichen Kontext oft anders entschieden. Vor allem, wenn es um große IT-Projekte geht, scheint die Sparmentalität manchmal jede Vorsicht zu überstimmen.
Drei Angebote, drei Preise, drei angeblich gleiche Leistungen
Stellen wir uns eine typische Szene aus dem Projektalltag vor: Ein Unternehmen sucht nach einer passenden Multi-Faktor-Authentifizierung (MFA) für sein globales Setup. Nach eingehenden Gesprächen mit drei IT-Dienstleistern (DL) sind die Verantwortlichen in der Firma überzeugt, dass alle Anbieter technisch kompetent wirken und die Anforderungen verstehen.
Dann flattert das entscheidende Dokument ins Haus – das Angebot. Dort zeigt sich plötzlich ein gewaltiger Unterschied:
- Dienstleister A und B fordern für das Gesamtpaket – inklusive Projektmanagement, Proof of Concept (PoC), Implementierung, Go-Live und Hypercare-Support – rund 50.000 Euro.
- Dienstleister C präsentiert eine Summe von nur 10.000 Euro. Allerdings verzichtet er dabei auf ein PoC, setzt das Projektmanagement spürbar herunter und bietet keinen festen Hypercare-Support, sondern lediglich ein offenes Kontingent für eventuelle Nacharbeiten.
Der Preisunterschied ist drastisch, denn das vermeintlich „Gleiche“ kostet hier nur 20 % der anderen Angebote. Doch wie sich rasch zeigt, ist das Leistungsspektrum keineswegs identisch. Ohne PoC fehlen wichtige Testphasen, die bei global agierenden Unternehmen enorm wichtig sind. Das reduzierte Projektmanagement führt zu weniger strukturierter Kommunikation und Dokumentation. Und der Hypercare-Support, der vor allem in den ersten Wochen nach dem Go-Live entscheidend sein kann, bleibt eine reine „Kann-Leistung“, die nur bei Bedarf über ein offenes Kontingent abgefangen wird.
Trotzdem ist es verlockend, sich auf das günstigere Angebot einzulassen. Die Frage ist: Werden die Entscheidungsträger im Unternehmen wirklich verstehen, was ihnen in diesem Sparpaket alles fehlt?
Teure Schnäppchen: Zwei typische Szenarien aus der Praxis
Viele Firmen hoffen, mit dem Billigangebot ein unschlagbares Geschäft zu machen. Doch die Praxis zeigt oft einen anderen Verlauf. Zwei mögliche Szenarien verdeutlichen das Dilemma.
Szenario 1: Technisch halbwegs erfolgreich, aber nur mit großem Nachbesserungsaufwand
In diesem Szenario gelingt die Implementierung auf den ersten Blick – zumindest aus rein technischer Sicht. Alles ist installiert, das System läuft, und erste Nutzer können sich sogar wie geplant per MFA anmelden. Doch schnell wird klar, dass die Projektphase durch den fehlenden Proof of Concept und das reduzierte Projektmanagement zu kurz gekommen ist.
- Fehlende Abstimmung
Weil nur wenige Personen aus der IT-Abteilung an den Tests beteiligt waren, hat man wichtige Fachbereiche oder den internationalen Rollout kaum berücksichtigt. Somit gibt es große Lücken bei der Dokumentation – niemand weiß so recht, wie das System im gesamten globalen Umfeld funktionieren soll. - Unklare Verantwortlichkeiten
Ohne klare Projektmanagement-Strukturen wurden laufend kleinere Anpassungen oder Umwege gemacht, ohne sie sauber zu dokumentieren. Wer setzt eigentlich welche Policies fest? Welche Sicherheitseinstellungen gelten für bestimmte Standorte? - Nachträgliche Korrekturen
Nachdem das „erste“ Go-Live stattgefunden hat, treten unerwartete Probleme auf, die sich oft nur mit großem Aufwand beheben lassen. Und weil der Dienstleister hierfür ein offenes Kontingent eingeräumt hat, müssen die Unternehmen Stunden um Stunden nachbuchen. Was anfangs so günstig klang, summiert sich nun zu Beträgen, die mindestens an die Gesamtkosten von A und B heranreichen – manchmal sogar darüber. - Verpasster Zeitplan
Das Projekt zieht sich in die Länge. Mitarbeitende werden frustriert, da sie ständig auf Lösungen warten, und die internen Aufwände steigen.
Obwohl das Projekt am Ende in irgendeiner Form zum Laufen kommt, resultiert das Ganze in viel Ärger, mehr Arbeit und meist höheren Kosten, als wenn man gleich ein durchdachtes Konzept mit PoC und festem Support gebucht hätte.
Szenario 2: Das totale Scheitern und die doppelte Zahlung
Im zweiten Szenario läuft alles von Beginn an schief. Das scheinbar günstige Angebot stellt sich als unzureichend heraus, weil zentrale Punkte einfach nicht umgesetzt wurden. Die Lösung funktioniert im globalen Firmenumfeld nicht, wichtige Stakeholder wurden nicht eingebunden und die technische Integration scheitert an fehlenden Schnittstellen.
- Verfahrene Situation
Nach einigen Wochen oder Monaten im Chaos gestehen sich alle Beteiligten ein, dass das Projekt so nicht weitergeht. Trotz intensiver Nachbesserungsversuche, die das offene Kontingent schnell aufbrauchen, kommt kein stabiles Ergebnis zustande. - Neustart mit Misstrauen
Frustriert und unter Zeitdruck wendet sich das Unternehmen an einen anderen Dienstleister – oft einer der „teuren“ Anbieter aus der ursprünglichen Auswahl. Dieser sieht jedoch, dass viel Vorarbeit im Sand verlaufen ist und zunächst die bisherigen Ergebnisse geprüft werden müssen. - Steigende Kosten
Das Projekt, das ursprünglich für 50.000 Euro zu haben war, kostet nun 80.000 Euro. Der Dienstleister muss nicht nur bei null beginnen, sondern auch den Scherbenhaufen beseitigen, den sein Vorgänger hinterlassen hat. - Verlorene Reputation
Für die interne Projektorganisation und die Mitarbeitenden ist die Stimmung oft auf dem Tiefpunkt. Vertrauen in externe Dienstleister oder die eigene IT-Abteilung geht verloren.
In vielen Fällen kommt man sogar bei diesen 80.000 Euro nicht zur Ruhe, weil das Projekt bereits zu sehr verbrannt ist. Manchmal wird eine andere Lösung ganz von vorn aufgesetzt, was noch mehr Geld, Zeit und Nerven kostet. Das vermeintliche Schnäppchen ist am Ende also das deutlich teurere Desaster.
Fehlerkultur und Scheitern: Ein Blick auf die Realität
Es wäre schön, wenn Projekte immer reibungslos verliefen. Doch in der IT-Landschaft kann es schnell zu Missverständnissen, Termin- und Budgetverfehlungen kommen. Oft steckt hinter diesen Problemen eine Kombination aus unzureichender Kommunikation, unrealistischen Erwartungen und fehlenden Prozessen zur Qualitätssicherung.
Immer wieder beobachten wir zudem, dass Unternehmen den Mehrwert von Projektmanagement, Proof of Concept und Hypercare-Support unterschätzen. Man geht davon aus, dass die reine Technik genügt. Doch sobald eine Komponente ausfällt oder sich Anforderungen ändern, wird schnell klar, warum professionelle Begleitung essenziell ist.
Ein Dienstleister, der sich vorab intensiv mit Prozessen und Anforderungen befasst, lässt seltener Stolperfallen offen. Ein ausreichend großer Zeit- und Kostenrahmen ist dann die Grundlage dafür, pünktlich und sauber zu liefern. Doch gerade hier setzt bei manchen Entscheidern der Reflex zum Sparen ein – mit fatalen Folgen, wie die eben beschriebenen Szenarien zeigen.
Was tun, um nicht doppelt zu zahlen?
- Gesamtleistung verstehen
Bevor du ein Angebot annimmst, mach dir klar, welche Leistungen es tatsächlich enthält. Fehlen Tests, Dokumentation oder Support? Dann solltest du genau abwägen, ob du wirklich auf diese Punkte verzichten kannst. - Bedarfsanalyse betreiben
Prüfe realistisch, wie viel Unterstützung du brauchst. Wenn deine interne IT wenig Kapazitäten oder spezielles Know-how hat, ist ein vollumfänglicher Service fast immer der bessere Weg. - Auf Transparenz und Kommunikation achten
Wenn ein Dienstleister 80 % günstiger ist, frage genau nach, warum. Sind klare Projektpläne, Verantwortlichkeiten und Risikomanagement-Strategien vorhanden? - Langfristige Perspektive einnehmen
Ein IT-Projekt endet nicht mit dem Go-Live. Danach folgen Wartung, Weiterentwicklung und Support. Wer hier schon während der Projektphase ansetzt, vermeidet böse Überraschungen. - Zweimal hinsehen statt zweimal bezahlen
Scheue dich nicht, kritisch zu hinterfragen, ob ein Angebot wirklich zu deiner Organisation passt. Im Zweifel kann der vermeintliche Aufpreis für ein durchdachtes Konzept dich vor weit größeren Kosten bewahren.
Fazit: Richtig kalkulieren statt blind sparen
„Wer billig kauft, kauft zwei Mal“ – diese Redewendung gilt auch (und ganz besonders) im IT-Umfeld. Gerade bei komplexen Projekten, wie der Einführung einer MFA-Lösung für ein globales Unternehmen, sind umfangreiches Projektmanagement, ausreichende Testphasen und ein funktionierender Support wesentliche Bausteine für den Erfolg.
Sicher gibt es Ausnahmen, in denen das Sparangebot genügt, vor allem wenn der Umfang überschaubar ist oder die interne IT-Expertise groß. Doch in den meisten Fällen führt der Billigweg zu Frust, Mehrkosten und doppelt so langen Projektzeiten. Und wenn gar nichts mehr hilft, sitzt man mit einer gescheiterten Implementierung da, nur um Monate später von vorne zu beginnen – dann allerdings mit einer deutlich höheren Rechnung.
Mein Tipp: Prüfe Angebote sorgfältig, hinterfrage die Beweggründe hinter einem ungewöhnlich niedrigen Preis und mach dir immer bewusst, dass ein ordentlich geplantes IT-Projekt mehr ist als nur die reine Implementierung von Technik. Du zahlst nicht nur für Code oder Hardware, sondern für die Gewissheit, dass am Ende ein System funktioniert – und zwar nicht nur für ein paar Wochen, sondern auf lange Sicht.